Donnerstag, 11. Oktober 2007
Ich bin ein zutiefst narzisstischer Mensch
Als ich etwa 16 oder 17 Jahre alt war, las ich das Buch "Narziss und Goldmund" von Hermann Hesse. In dieser Zeit entwickelte ich stark die Selbstwahrnehmung, dass ich "ein Narziss" bin und das ich eine Neurose hätte.

Ich versuche, mich daran zu erinnern, woran ich in dieser Zeit meinen Narzissmus fest machen kann. Eitelkeit spielte auch eine große Rolle (Bezug: "Jahrmarkt der Eitelkeiten" von Element of Crime). Mit Sicherheit spielte damals die Vorstellung eine Rolle, ich müsse viele Frauen in meinem Leben gehabt haben. Eine einzige wäre mir nie genug gewesen. So entwickelte ich die neurotische Angst, der Frau, die ich damals wirklich liebte, der Liebe zu ihr zu verfalen und nie wieder von ihr loszukommen. Die Angst, sie könne ein Kind von mir bekommen, war so groß, dass es nie dazu gekommen ist, dass wir eben zusammengekommen sind. Ein Kind, das ich nicht gewollt hätte. Diese Vorstellung demütigte mich vor mir selber. Wenn wir ein Kind bekommen hätten, so wäre ich auf immer mit ihr verbunden und ich hätte nicht die Bestätigung, die ich mir doch nicht nur von einer, sondern von vielen Frauen wünschte, bekommen.
Gleichzeitig hatte ich große Angst, nie wirklich mit ihr zusammenzukommen und dann für meinen Lebtag gekränkt zu werden, in dieseFall würde ich ein mittelmäßiges oder schlechtes Leben führen und ein gestörtes Verhältnis zu Frauen haben. So sollte es dann auch kommen, denn in dieser Hinsicht bin ich bis heute ein blindes Huhn.

Die Liebe zu ihr war ein Prüfstein für mich. Wenn unsere Liebe wirklichkeit geworden wäre, so hätte ich quasi "die Ausbildung" bestanden - ich hätte gelernt, Frauen zu verführen und mir die Liebe von so vielen Frauen haben können, wie ich nur wollte. Denn in meiner Kindheit hatte ich ein recht gutes Verhältnis zu gleichaltrigen Mädchen, wusste, mit ihnen umzugehen. Würde ich ihre Liebe nicht erlangen, so hätte ich ein lebenslanges Trauma, denn die erste, die Große Liebe wäre gescheitert und ich wäre ein Leben lang abgeklärt gegenüber meinen eigenen Wünschen nach Liebe und Zärtlichkeit.

Selbst nach Jahren ist mir nicht klar geworden, was wirklich da zwischen uns beiden war. Wir lagen mehrmals beide die Nacht über im gleichen (Doppel-) Bett in ihrem Zimmer in ihrer WG. Es kam nur zu ganz wenigen Berührungen. Alles, was ich tat war, dass ich ihr ein oder zwei mal mit der Hand über den Rücken Strich. Sie sagte dazu, ich bräuchte wohl eine Landkarte. Sie sagte, ich solle nicht bei ihr Übernachten, weil sie sonst wieder kein Auge zu bekäme. Sie sagte, sie würde mich nicht von der Bettkante Schuppsen. Sie sagte, wenn wir uns nicht mehr sehen, schafft sie sich einen Hund (der ähnlich treu wäre wie ich) an.

Das alles hat mich nach Jahren zu der Auffassung gebracht, dass da schon "einiges gegangen" wäre, wenn ich nur aktiver hätte sein können.

In diesem Punkt hat nicht sie - sondern ICH MICH unendlich gekränkt. Wo ich das jetzt erfasse, kann ich mich wieder mit mir versöhnen - nicht mit ihr, denn von ihr konnte ich mich ja nie wirklich gekränkt fühlen. Sie blieb als menschliches Idealbild erhalten. Ich wusste bis eben gar nicht, das ich mich selbst so gekränkt habe. Diese Kränkung war sogar so stark damals, dass ich über die Jahre danach all das verdrängt hatte, was "sie sagte" (s.o.). In dieser Zeit war ich der Auffassung: "Ich war unsterblich in sie verliebt, doch sie wollte mich nicht". Ich konnte offensichtlich nicht ertragen, dass ICH es war, der nicht anders konnte, als nicht stark genug wollen konnte. (Dieser Satz ist kein Grammatikfehler.)

Es war für mich eine unglückliche Liebe.

Von dieser tiefsten Kränkung musste ich mich befreien, ich musste nach oben streben, gierte nach Anerkenneng. So fing ich an, die Musik zu machen, von der in meinen anderen Beiträgen überall die Rede ist. Dieses stärkste Gefühl gekränkter Liebe musste durch unendlich viel Anerkennung wettgemacht werden.

Laut Gerhard Dammann, einem schweizer Psychologen ist die Grenze "fließend vom gestörten zum durchaus produktiven und erfolgreichen Narzissten." Bei Narzissten fände man immer wieder "eine visionäre Kraft". (Zitate: Spiegel 38/2007).

Nun wird das Ganze aber sehr doppelbödig. Denn ich bin ein Narziss so oder so: Entweder, mein Narzissmus treibt mich dazu, Erinnerungen ohne Ende zu produzieren, die mich im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen lassen. Oder mein Narzissmus hat mich damals zu dieser unendlichen Tat bewogen.

Nun ergibt sich eine ganz neue Seltsamkeit für mich. Aus irgendeinem Grunde setzte ich damals Manuela (so hieß meine Angebetete) mit meinem Vater gleich - als würde zwischen ihnen irgend eine magische Verbindung bestehen. Die beiden haben sich dabei meines Wissens nach nie im Leben gesehen. Es war so eine Fixe Idee: Vater = Manuela.

Dies hat zwei Aspekte. Der Narzisstische Mensch hat in seinem Leben "einen Mangel an verfügbarer väterlicher Autorität" erlebt. Dies "kann einen unstillbaren Hunger nach Wertschätzung wecken".(Quelle: s.o.) Mein Vater hat die Elterliche Wohnung verlassen, als ich etwa 13 Jahre alt war und seine Autorität war dann fürmich dadurch ´nicht mehr verfügbar´. In der Liebe zu Manuela holte ich mir ihre verstärkte Aufmerksamkeit (hier gleich zu verstehen wie Wertschätzung) durch Verzicht auf Körperlichkeit.

Darin lassen sich auch meine damaligen SM-Fantasien, vor allem die masochistischen (die wahrscheinlich nicht ausgeprägter waren als bei vielen anderen Menschen, über deren Vorhandensein ich damals aber extrem litt), erklären. Ich wollte mir von Manuela die Autorität (hier gleich Qual oder Gewalt) hohlen, die vom Vater nicht kam.

Den Augenscheinlichsten Zusammenhang - den ich noch nicht psychologisch einordnen kann - zwischen Vater und Manuela war der, dass ich bei beiden eine unerfüllte Liebe Produziert habe:

1. Bei Manuela dadurch, dass ich keine Körperlichkeit hergestellt habe und

2. Bei Vater dadurch, dass er meinen Namen beim Veröffentlichen heraushielt und ich vor der Welt unerkannt, ungeschätzt blieb.

Für meinen Narzissmus bedeutet das zweierlei:

1. Ich weiß, dass meine Arbeit von sehr, sehr vielen Fans geschätzt wird - und auch von den Bands. Dies Stillt meinen Hunger nach Wertschätzung. (Ich sollte nie wieder Kunst machen, um wertgeschätzt zu werden - denn das wäre eine Mißachtung der Freude über den Erfolg - vergl. obige Quelle).

2. Kein anderer in meinem Leben (außer die Familie) weiß davon. Von ihnen brauche ich nun keine übersteigerte Wertschätzung mehr, denn ich weiß ja, dass ich diese von den Fans und Bands habe.

Quasi hat der Wunsch, den ich meinem Vater gegenüber bei Androhung meines Selbstmordes äußerte, dass er und die Familie mir gegenüber nie verlautbaren dürften, diese ganze Musik sei von mir komponiert, einen genialen Selbstheilungseffekt gehabt: Ich habe die Anerkennung der Fans und kann der restlichen Welt gegenüber ohne ein gesteigertes Bedürfnis nach Wertschätzung gegenübertreten.

So habe ich mich auf geniale Weise von meinem Narzissmus befreien können. Ich denke: das war keinesfalls genial geplant so, sondern ich habe intuitiv gemerkt, dass meine Familie zu der Musik schweigen müsse, damit es mir besser ginge. Möglicherweise können Selbstmorddrohungen sich also günstig auswirken, wenn mit ihnen ein konkreter Wunsch verbunden ist, was stattdessen in Zukunft sein soll.

Doch derzeit kann ich mich nicht von dem Gedanken verabschieden, wieder Musik zu machen. Denn ich wünsche mir trotz allem unendlich die Anerkennung für die Musik von meinen Freunden. Ich verzichte derzeit bloß notgedrungen darauf, weil die Erfahrung zeigt, dass sie sowieso mir kein Wort glauben. Und ein Weg wäre, dass ich wieder Musik mache. Dann würden sie es ja schließlich sehen. Meine Mutter sagte mir in dem Zusammenhang auch mal: "Deine Freunde kennen Dich eben nicht so." (...als Musikschaffenden).

Doch wieder Musik machen zu wollen bedeutet, dass ich noch mehr Erfolg haben will (nun eigentlich gerade vor den Freunden).

Der pragmatischste Weg ist der, den Tina mir schon vor Monaten vorgeschlagen hat: Von den Freunden Anerkennung durch "normale Sachen" bekommen.

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