Samstag, 10. November 2007
Der Hintergrund der Tocotronic-Songs: Digital ist besser
Als ich die Tocotronic-Songs machte, lebte ich in einer fremden, seltsamen Welt.Denn die Liebe eines Mannes nutzte sich in dieser Welt ab, sie verbrauchte sich, sie war endlich. Ich meinte, meine Liebe sei schon so beansprucht wie bei einem Vierzigjährigen - dabei war ich erst 18. Ich glaubte, ich würde mit 23 erst meine erste Freundin haben und malte mir diese Zahl in großen Lettern an die Wand. Alle Wände meines Zimmers waren bemalt, mit vorwiegend schwarz / rot / weißen Wandfarben, hier und da etwas gelb und etwas blau. Dann malte ich ein großes, weißes Ei an die Wand, damit ich nicht vergessen möge, was es mit dem Eiweiß auf sich habe.

In meiner Vorstellung (und vielleicht auch in Wirklichkeit) hatte ich Wassereinlagerungen in Gesicht und Körper. Dies scheint möglich, da ich zu dieser Zeit untergewichtig war. Nun war ich überzeugt, dass das Essen von Eiweiß dazu führen würde, dass diese Wassereinlagerungen zu Gewebe umgewandelt werden. Daher dann das Große Ei, etwa zwei Meter hoch, an der Wand.

Doch was für eine Welt entfaltet sich, wenn ich mal die alten Tocotronic-Songs im Licht der Neonröhre untersuche, die damals mein Zimmer erhellte. "Ich weiß nicht, wieso ich Euch so hasse, Fahrradfahrer dieser Stadt (***Backgammonspieler*** dieser Stadt)."

Radfahrer waren in meiner Welt damals Männer, deren Liebe schon lange zur Neige gegangen war und die sich nur noch mit Frauen küssen und nicht mehr mit ihnen schlafen. In der WG, in der ich so zwischen 16 und 20 Jahren verkehrte, spielten manchmal ein paar Leute Backgamon um viel Geld miteinander. Mit denen wollte ich nichts zu tun haben - das machte mir Angst.

"Ich bin alleine und ich weiß es, und ich find´es supercool." spielt darauf an, dass ich mit meiner Freundin nicht mehr zusammen war.

"Und ihr demonstriert Verbrüderung" sollte heißen, dass meine Familie nun einen Schritt auf mich zu machen würde, dass ich ruhig aus meiner dunklen Höhle mit den bemalten Wänden wieder heraustreten sollte, um wieder ein normales Leben zu führen.



Meine Freundin und ihr Freund

In diesem Song vermischen sich verschidene Motive, es sind ineinander verwobene Erinnerungssequenzen.

"Meine Freundin und ihr Freund, ham es gut gemeint, als sie meinten, sie würden mir mal schreiben.
Und als sie´s mir gestand, an einem Imbissstand meinte ich noch, ich könnt nicht lange bleiben."
Die erste Zeile bringe ich nicht mehr auf die Reihe und ich weiß nicht mehr, was ich mir bei dieser Zeile damals vor zwanzig Jahren gedacht habe. Die Erinnerung an den Imbissstand bezieht sich auf so eine Pommesbude in der Nähe zu meiner Grundschule, wo ich einmal mit Freunden aus der Grundschule nach dem Kino stand und (vermutlich) Pommes gegessen habe. Keine fünfzig Meter davon entfernt kann ich mich an ein Treffen mit einem Mädchen aus meiner Klasse damals erinnern. In meiner Erinnerung ist mir so, als ob sie "mit mir gehen" wollte.Doch ich war damals nicht sonderlich interessiert. Daher auch die Einschränkung "ich könnt nicht lange bleiben." Dies könnte sich auch darauf beziehen, dass ich am Imbissstand nicht lange bleiben konnte, denn es war kurz vor sechs, und ich wollte noch unbedingt die "Drehscheibe", eine Nachrichtensendung, sehen, da an diesem Abend dort die Musikgruppe "Baccara" aufteten sollte.


"Und im Leben gehts oft her wie in einem Film von Romea. Und um das alles zu begreifen, wird man was man furchtbar haßt, nämlich Cineast, zum Kenner dieser fürchterlichen Streifen."
In meiner Vorstellung zu der Zeit der Entstehung der Tocotronic-Songtexte meinte ich, dass darüber, dass sich die Liebe eines Mannes förmlich aufbrauchen könnte, nie gesprochen würde und das darüber in Texten, Romanen etc. nur verschlüsselt, andeutungsweise geschrieben würde. So auch in Filmen. Nun meinte ich, wenn denn nun meineLiebe schon fast zu Ende sei, würde ich ersatzweise "Cineast" werden, also jemand, der sich ganz genau mit Anspielungen auf die Männliche Liebe in Kinofilmen auskennt. "Hassen" übrigens deshalb, weil es traurig wäre, nur noch über die Liebe in Filmen Bescheid zu wissen, anstatt sie selbst zu erleben.


"Meine Freundin und ihr Freund ham es gut gemeint, als sie meinten, sie käm´ mich mal besuchen."
Hier hatte ich die Vorstellung, dass meine Freundin mit einem Nebenbuhler, mit dem sie zeitweise vermutlich auch mal zusammen war, mich besuchen kämen. Mit dieser Vorstellung verknüpft ist auch eine Erinnerung daran, dass mich der Nebenbuhler auch einmal besucht hatte. Bei diesem Besuch sprach ich allerdings so gut wie kein Wort.

"Und als sie´s mir gestand, an einem Imbissstand, meinte ich noch, wir Könns ja mal versuchen. Und im Leben gehts oft her wie in einem Film von Romea. Und um das alles zu begreifen, wird man was man furchtbar haßt, nämlich Cineast, zum Kenner dieser fürchterlichen Streifen."

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